An alle potenziellen Gefährder und ihre Kontaktpersonen: Aufruf zur Onlinedurchsuchung beim Bundeskriminalamt
Rund um die „Freiheit statt Angst“-Demonstration am 11. September 2010 laden wir dazu ein, Analyse, Protest und Widerstand gegen die Zunahme von Überwachung und Kontrolle auch auf den virtuellen Raum auszudehnen.
Am Donnerstag den 9. September wollen wir die Webseiten des Bundeskriminalamts (BKA) besuchen, um uns dort mit einer Schnitzeljagd über deren Verständnis von Freiheit und Bürgerrechten zu informieren.
Die Aktion ist jedoch mitnichten auf den 9. September begrenzt, vielmehr soll sie der Start für eine alltägliche kritische Beobachtung sein.
Die Fragen zur Schnitzeljagd findet ihr hier. Ab dem 13.09. werden wir zudem einige Lösungshinweise veröffentlichen.
Wir haben uns das BKA ausgesucht, weil die Behörde maßgeblich am Umbau der deutschen wie europäischen Sicherheitsarchitektur beteiligt ist. Gern wird hierfür als Begründungszusammenhang ein Kampf gegen Terrorismus, organisierte Kriminalität oder Kinderpornographie ausgerufen. Die „Bedrohungen“ werden massiv überzeichnet, daraus entstandene neue polizeiliche Spielräume und Werkzeuge werden schon bald gegen soziale Bewegungen in Stellung gebracht. Hierfür haben die Bundeskriminalisten erst kürzlich mit dem neuen BKA-Gesetz eine Grundlage erkämpft, um fortan auch „präventiv“, also selbstermächtigt vorzugehen.
Behauptet wird zudem die steigende Notwendigkeit einer internationalen Polizeizusammenarbeit, da das internationale Übel nicht mehr an den nationalen Grenzen Halt mache. Dabei stützt das BKA die Rede von einem „umfassenden Ansatz“, das Innenbehörden stärker mit Militär und Geheimdiensten verzahnen will. Als „herausragender Eckpfeiler eines ganzheitlichen Systems der Kriminalitätsbekämpfung“ kooperiert das deutsche Polizeiamt mit anderen Nachrichtendiensten, die inzwischen – trotz deren grundgesetzlich gebotener Trennung – vom „Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum“ und „Gemeinsamen Analyse- und Strategiezentrum illegale Migration“ ausgehend operieren.
Grundsätze von Datenschutz oder Datensparsamkeit sind dabei längst auf der Strecke geblieben. Mit eigenen Datenbanken sowie als Schnittstelle zu internationalen polizeilichen Datenhalden diktiert das Bundeskriminalamt den Kurs in Richtung polizeiliche Datenbankgesellschaft.
Hierfür werden zahlreiche Zentral- und Verbunddateien unterhalten. Ein Eintrag etwa in die Dateien „Gewalttäter Sport“ oder „International agierende gewaltbereite Störer“ hat für die Betroffenen weitreichende Repressalien zur Folge, die bisweilen sogar zum Versagen politischer Betätigung führen. Beide Datensammlungen wurden jahrelang ohne Rechtsgrundlage betrieben und erst kürzlich, zusammen mit etlichen anderen Datenhalden, vom Bundesrat nachträglich legalisiert. Die Informationssysteme des BKA füttern eine polizeiliche Praxis, die seit Jahren mit dem Begriff „Gefährder“ operiert und damit den juristischen Grundsatz der Unschuldsvermutung auf den Kopf stellt.
Das Bundeskriminalamt arbeitet indes eifrig an dem Vorhaben, die deutsche polizeiliche Sammelleidenschaft auch innerhalb der Europäischen Union weiter voranzutreiben. Das BKA ist die Kontaktstelle zur EU-Polizeiagentur Europol, Interpol und dem Schengener Informationssystem und gleichzeitig Knotenpunkt aller bi- und multilateralen deutschen Abkommen zu Polizeikooperation und Datentausch. Ein undurchsichtiges, weltumspannendes Netzwerk sogenannter „Verbindungsbeamter“ treibt die globale polizeiliche Zusammenarbeit ohne Kontrollmöglichkeit diskret und informell voran.
Während die europäischen Staatsgrenzen für MigrantInnen mittels technischer Aufrüstung immer undurchlässiger werden, scheinen sie für polizeiliche Überwachung und Kontrolle keine Rolle mehr zu spielen. Gleichzeitig wird das BKA - wie auch Europol mit seiner umfangreichen IT-Abteilung - zur polizeilichen Service-Organisation ausgebaut, die neue technische Werkzeuge beforscht: Das Bundeskriminalamt ist an etlichen Forschungsprojekten sowohl auf deutscher wie auf EU-Ebene beteiligt, darunter zum Einsatz biometrischer Kameras, dem Ausspähen des Internet oder der Nutzung von Satellitenaufklärung auch für polizeiliche Neugier.
Von Interesse ist auch der Einsatz von Ermittlungssoftware und „Predictive Analytics“ zur voraussagenden Suche nach „Risiken“. Bagatellisierend als „Prävention“ bezeichnet, werden damit die immensen polizeilichen Datenberge computergestützt durchsucht und einer alltäglichen Rasterfahndung unterzogen. Die Polizei will mittels Software „vor die Lage kommen“, erklärt BKA-Präsident Jörg Ziercke.
Einen der wohl weitgehendsten Grundrechtseingriffe dürfte die Forschung im EU-Vorhaben INDECT darstellen, das eine digitale Plattform zum Aufspüren „verdächtigen Verhaltens“ entwickelt. Dabei werden sowohl polizeiliche Datenbanken, als auch Aufnahmen stationärer und fliegender Kameras sowie das Internet gleichzeitig ausgewertet. INDECT wird deshalb von Datenschützern als „Bevölkerungsscanner“ kritisiert. Das BKA ist, neben anderen deutschen Projektpartnern, als „Berater“ an INDECT beteiligt.
Das Bundeskriminalamt hat seit einigen Jahren das „Tatmittel Internet“ entdeckt und pocht auf die polizeiliche Reglementierung einer „Informations- und Kommunikationskriminalität“. Als unverzichtbar gilt den Bundesermittlern nach wie vor der massive Eingriff in die Kommunikations-Privatsphäre. Nach dem Spruch des Bundesverfassungsgericht über die Unvereinbarkeit der bisherigen Umsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung gab sich der BKA-Präsident entsetzt. Ähnlich ausgebremst fühlt sich die Behörde im Vorhaben des Aufstellens von Umleitungsschildern im Internet, die zunächst als Bremse gegen den Konsum von Webseiten kinderpornographischen Inhalts eingeführt werden sollen und fortan jeden Aufruf inkriminierten Inhalts protokollieren. Trotz Beschluss, das Gesetz nicht anzuwenden, meldet das BKA die Tüftelei an technisch noch ausgereifteren Sperrmöglichkeiten.
Ähnlich eifrig werden Möglichkeiten des Manipulierens privater Computer vorangetrieben. Mit eigenen Trojaner-Programmen will das BKA die Kontrolle über andere Rechner übernehmen und sich ihre Nutzung zu Kommunikation oder Wissensproduktion protokollieren. Zwar behauptet das BKA, diese sogenannte „Onlinedurchsuchung“ bislang nicht selbst einzusetzen. Die Behörde ist allerdings für ihre enge Zusammenarbeit mit Geheimdiensten bekannt, die angesichts ihres Wirkens ohne öffentliche Kontrolle gemeinhin vor neuen technischen Ermittlungsmethoden wie der „Onlinedurchsuchung“ weniger Skrupel haben.
Der Verfolgungseifer des BKA wurde zuletzt angesichts eines Ermittlungsverfahrens gegen die „militante gruppe“ offensichtlich. 10 Jahre lang hat die Behörde linke Aktivisten observiert, gefilmt, belauscht und ihre Bewegungen mit satellitengestützten Peilsendern dokumentiert. Als ernstgemeinte Verdachtsmomente mussten Verwandtschaftsverhältnisse oder eine Marx-Lektüre herhalten. Wie im Agentenroman wurde ein KfZ per „Dublette“ ausgetauscht, um es unbemerkt verwanzen zu können.
Dabei sind die Beziehungen des BKA zur Richterschaft scheinbar nicht die schlechtesten: Allein 50 Überwachungsbeschlüsse gegen die „militante gruppe“ wurden vom gleichen Ermittlungsrichter gezeichnet. Dass die Überwachung erst kürzlich vom Bundesgerichtshof als rechtswidrig eingestuft wurde, ist für die Betroffenen ein schwacher Trost.
Es ist schwierig, dem Gebaren des BKA juristisch das Handwerk zu legen. Betroffene, die beispielsweise Auskunft über ihre beim BKA gespeicherte Daten begehren, erhalten oft nur rudimentäre Angaben. Als Grund gibt die Behörde an, die geheimen, polizeilichen Informanten nicht zu gefährden. Zuständig für Klagen gegen das BKA sind eine Handvoll Richter am Verwaltungsgericht Wiesbaden. Dort wird die polizeiliche Praxis, etwa in Bezug auf die ungenügende Beantwortung von Auskunftsersuchen, regelmäßig gerügt. Eine Änderung der fehlenden Auskunftsfreudigkeit ist dennoch nicht in Sicht.
Hin und wieder stößt das Bundeskriminalamt auf Gegenwind, etwa wenn die innenpolitische Großwetterlage den Kernbereich privater Lebensgestaltung in den Mittelpunkt stellt oder Parlamentarier auf ihre Kontrollbefugnisse pochen. Doch bedeutet das längst nicht das Ende ausufernder Überwachung, denn etliche polizeiliche Zukunftsvisionen werden längst „über Bande“ mittels EU-Richtlinien verabredet.
Die vom BKA anvisierten Internetsperren wurden jüngst in einer neuen Initiative der EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Ähnlich sieht es mit den „Onlinedurchsuchungen“ aus: Deutschland ist seit Jahren Hauptsponsor und „Power User“ der europäischen Datenkrake Europol. Deren Technikabteilung betreibt nach eigenen Angaben seit 2008 „Ferndurchsuchungen“ privater Computer im Rahmen grenzüberschreitender Ermittlungen. Deutschland – und mithin das BKA – ist an fast allen Ermittlungskomplexen Europols beteiligt. Die Aussage des BKA-Präsidenten, auf „Onlinedurchsuchungen“ bisher verzichtet zu haben, erscheint dadurch in einem anderen Licht.
Beliebt ist die Praxis innerhalb der Europäischen Union, grenzüberschreitende Abkommen zur Erleichterung von Datentausch oder Polizeizusammenarbeit anfänglich unter wenigen Mitgliedsstaaten bilateral zu verabreden. Nach kurzer Zeit werden sie „in EU-Recht überführt“ und werden damit für alle Mitgliedsstaaten verpflichtend. Für Widerstand ist es dann oft zu spät.
Gründe genug also, die Machenschaften des Bundeskriminalamts genauer unter die Lupe zu nehmen. Wir schlagen vor, den Webseiten der Behörde am Donnerstag den 9. September einen gemeinsamen Besuch abzustatten und in das Antlitz eines Apparates zu blicken, der nach Angaben seines Präsidenten einen „hervorragenden Ruf in aller Welt als kompetenter Partner bei der Kriminalitätsbekämpfung“ genießt.
Auf www.bka.de wollen wir uns umsehen, was das BKA unter „Sicherheit“ versteht und welche Konsequenzen für weltweite Freiheits- und Bürgerrechte daraus absehbar sind.
In den Tagen vor der Durchsuchung werden wir auf unserer Webseite datarecollective.net die Ermittlungsziele bekannt geben. Es ist dabei nicht nötig, in den geschützten Bereich des BKA einzudringen; ein einfacher Browser ist alles, was es zur Teilnahme braucht.
Das BKA ist dafür bekannt, in der Vergangenheit IP-Adressen von Besuchern auf ihrer Webseite gezielt zu protokollieren und in Ermittlungen zu verwenden. Wenn ihr vermeiden wollt dass der digitale Fingerabdruck eures Rechners in die Hände der Verfolgungsbehörden gerät, empfehlen wir euch die Nutzung von Anonymisierungswerkzeugen für eure Browser bzw. Netzwerkverbindungen. Als da wären:
Tor-Netzwerk (verschleiert IP-Adresse)
https://www.torproject.org/index.html.de
http://www1.privacyfoundation.de/handbuch_11.htm
VPN-Tunnel über riseup.net (verschleiert IP-Adresse)
https://we.riseup.net/riseuphelp/testing-personal-vpn
Firefox-Addon NoScript (verhindert Installation von Spyware durch Besuch von Webseiten)
https://addons.mozilla.org/de/firefox/addon/722
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